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© © Ruhpolding Tourismus / Andreas Plenk

Der Brauch des Wetterläutens wird in Ruhpolding bis heute gepflegt. Einst verhieß er den Bauern die letzte Hoffnung, um die Vernichtung ihrer Ernte oder einen Blitzeinschlag abzuwehren. Auch wenn es längst Blitzableiter gibt, ertönt in der Urschlau weiter bei Gewitter der Glockenschlag.

Gewitter im Anmarsch

Ein heißer Tag im August, der Himmel ist von einem strahlenden Blau. Aber es liegt was in der Luft. Die Tiere spüren es längst. Und dann geht alles ganz schnell. Finstere Wolken ziehen plötzlich auf und schieben sich über die Urschlau. Apfelbäume biegen sich im immer stärker werdenden Wind. Der Bergwald rauscht. Erste dicke Regentropfen fallen. Dann Donnergrollen. Noch ist das Gewitter ein paar Täler entfernt. Aber es kommt näher. Immer näher.

Martin Lex zieht sich schnell eine Jacke über und läuft die paar Schritte vom Bauernhaus hinüber zur kleinen, schlichtweißen Kapelle mit dem Zwiebeltürmchen. Den Schlüssel hat er dabei, die Haupttür öffnet sich knarrend. Jetzt steht er im Vorhaus der Wallfahrtskirche „Maria Schnee“. An der Wand ein Schild: „Keiner ist umsonst gekommen zu der Muttervoll Erbarmen, Allen hat sie abgenommen Leid und Schuld mit milden Armen.“

Alter Brauch

Draußen blitzt es. Fast unmittelbar darauf ein lautes bedrohliches Poltern. Das Gewitter ist jetzt fast über dem Urschlauer Hof. Mit schnellen Schritten geht Martin weiter in den Kirchenraum, für einen Blick auf den prachtvollen Altar mit der Heiligen Familie hat er keine Zeit. Er klettert die steilen Holzstufen zur Empore hinauf, ergreift die Schnüre und zieht mit voller Kraft daran. Glockenschlag erfüllt das Tal. Es ist als würde ihr heller Klang den Donner herausfordern, ihn zum Schweigen bringen wollen, ihn vertreiben.

Gleichmäßig und im rhythmisch zieht Martin Lex an den Schnüren. Der Nebenerwerbslandwirt stammt vom Urschlauer Hof, wie schon seine Mutter und der Großvater. Das Anwesen ist auf das Jahr 1785 datiert. Das Kirchlein Maria Schnee ist sogar noch älter. 1631, inmitten des Dreißigjährigen Krieges hat es ein Wolf Urschlauer erbauen lassen. Um die Gottesmutter gnädig zu stimmen, opferte er sogar einen Großteil seines Besitzes.

Schon Martin Lex Vorfahren haben bei nahendem Unwetter die Glocken geläutet. Früher vermutete man, dass die Schallwellen einer geweihten Glocke Donner und Blitz verbannen können. In den Stuben zündete man außerdem die Wetterkerze an. Und der Ofen wurde eingeheizt, um einige geweihte Palmkätzchen vom letzten Palmsonntag darin zu verbrennen. Aberglaube? Volksglaube? Gottesglaube? Martin Lex zuckt mit den Schultern. „Auf jeden Fall schadet es nicht“, sagt er überzeugt.

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Von allen Unwettern verschont

Es wird ruhiger. Blitz und Donner lassen nach. Auch der Regen fällt jetzt nur noch ganz sacht. Martin Lex lässt die Schnüre los, die Glocke verklingt. Die Gefahr ist gebannt, wieder einmal. Nicht bei jedem Unwetter kann er zur Stelle sein. Aber weil er als Bauer mit einem Auge das Wetter eh stets im Blick hat, läutet er, wann immer er kann.

Durch die offene Kirchentür strömt der Duft von frischgewaschener Erde und Wiesengrün hinein. Die ersten zaghaften Sonnenstrahlen lassen die Regentropfen leuchten. Auch die Ochsen von Martin Lex kommen aus ihrer Deckung. Ob’s hilft oder nicht, das Wetterläuten, wer weiß das schon. Aber der Urschlauer Hof ist bis heute von jedem Unwetter verschont geblieben.

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